Vor drei Monaten in der Küche einer Hamburger Galerie von einer jungen Dame das neue Fehlfarben-Album in die Hand gedrückt bekommen, frisch gebrannt, quasi zum Geburtstag – alles streng geheim. „Nur Hits, super zum Tanzen“, sagte die Dame, deren Eltern noch minderjährig waren, als Fehlfarben eine der wichtigsten Platten der deutschen Popgeschichte veröffentlichten: „Monarchie und Alltag“, 1980. Warum diese Geschichte? Weil: junge Dame, neue Fehlfarben, Hits, Tanzen – hä? Große Verehrung für Peter Hein, klar, aber das letzte Album seiner Band, das zweite nach dem Comeback von 2002, war mit der Plattenfirma V2 in der Versenkung verschwunden, und das war kein Drama. Dann aber: „Glücksmaschinen“. Und sofort und seitdem immer wieder beim Hören: Glücksgefühle.

Man wünscht den Leuten, die diese acht neuen Lieder hören, dass sie keine Ahnung von den Fehlfarben haben, weil der Geschichtsballast ja oftmals auch den Blick verstellt, und die neuen Lieder so gut und jetzig sind, dass der Vergangenheitsquark nur nervt. Zuerst mal: die Musik. Wahnsinnig knackig, druckvoll, total entschlackt und voller Haken und Ösen, an denen man noch nach dem hundertsten Hören hängen bleibt. Wenn die Menschen noch Singles kaufen würden, müsste man diese Platte scheibchenweise veröffentlichen. Daran ist der Berliner Produzent Moses Schneider (Tocotronic, Kante, Beatsteaks) sicher nicht ganz unschuldig. Der hat die Herrschaften in sein Studio gestellt und machen lassen und auf Aufnahme gedrückt. Also nix mit Overdubs, und jetzt spielen wir mal den Bass ein, und dann kleben wir da noch das drauf, sondern einfach: ran an die Buletten. Das war genau das richtige. Zumindest klangen Fehlfarben seit – jetzt doch wieder Geschichte – „Monarchie und Alltag“ nicht mehr so frisch und bei sich wie eben jetzt.

Ja und dann die Texte. Das ist so ein Thema. Peter Hein ist ja schon immer einer der besten Texter des Landes gewesen, da muss man nur mal Jene fragen, die selber versuchen Texte zu schreiben. Jeder, der heutzutage auf Deutsch singt, hat von Peter Hein gelernt, ob er will oder nicht. Weil der Herr Hein hat nämlich schon immer derart über alles Wichtige gesungen, dass es jeder verstehen konnte, und zwischen den Zeilen war das nicht Gesagte trotzdem da. Und das alles ohne Reime. Und ohne jetzt in Superlative zu verfallen, da kriegt der Hein nämlich gleich einen Hals. Überhaupt sollte man ihn nicht auf seine Texte ansprechen, sonst wird er maulig. Bei aller Zurückhaltung also: War der je besser als jetzt?
Im Titelsong „Glücksmaschinen“ wird mal eben das Lebensgefühl einer Elterngeneration auf den Punkt gebracht, die mit dem Verlust ihrer jugendlichen Ideale klar kommen muss: „Wir leben, wir sind Glücksmaschinen / Wir sind noch längst nicht ausgeschieden… Und wird das Grau auch mehr / Wir brauchen keinen Neubeginn.“ Die „Stadt der 1000 Tränen“ ist Wut auf die Verlogenheit in, na, wahrscheinlich Allem: „Sie haben sich sinnlos vermehrt / Weltenretter kochen Einheitsbrei – ein Weltevent / Die Weihnachtsindustrie in der Hand von Buddhisten / Am falschen Tag feiern besoffene Islamisten.“ Aber bei all dem: keine Verbitterung! Nur Zorn und Erkennen und ein bisschen Fatalismus. Richtig witzig wird’s, wenn der Hein über das Leben in der Welt des Web 2.0 singt: „Man fragt sich doch, wo die Leute sind / Dass man nie jemand trifft, hat man nicht vorgesimst / Man wusste doch nie, ob man wirklich Freunde hat / Erst der Freundezähler hat’s an den Tag gebracht.“ Und so geht das weiter. Alles vorgetragen mit dieser klaren, drängenden Stimme, und darunter die Musik, die schiebt und schiebt. Das hat eine angenehme Wirkung auf den Hörer, ungefähr so, wie wenn einem jemand eine Ladung Adrenalin ins Hirn rammt. Nebenbei fallen etliche T-Shirt-Slogans ab, eine Auswahl:
„Wahnsinn, Wahnsinn, alles ist gut“
„Wir haben Angst, aber leider keine Zeit dafür“
„Eiscreme – Sonnenöl / Leiden wird wieder schön“
Und dann, zum Ende hin, als alles gesagt zu sein scheint, jammt die Band schön druckvoll weiter, als hätte sie zu viel Schwung um einfach aufzuhören, und plötzlich, während man so mitwippt oder rumtanzt, kriegt Peter Hein den wohl tollsten Wutanfall der Musikgeschichte. Und alles geht von vorne los. So viel Kraft und Klarheit, wie sie Fehlfarben im Jahr 2010 haben, wünscht man jeder jungen Band. Und dass die Düsseldorfer dreißig Jahre nach „Monarchie und Alltag“ so ein Meisterwerk aus dem Ärmel schütteln, ist die schönste Überraschung seit, ach, keine Ahnung.
Tino Hanekamp

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